Berufsausbilderverband Niedersachsen-Bremen und das Thema „Industrie 4.0“
Am Samstag, des 24.09.2016 trafen sich fast 30 Mitglieder unseres Verbands (und vom Kooperationspartner Industriemeisterverband Landesverband Nordwest) im Stadtteilzentrum KroKuS in Hannover zu mehreren Vorträgen und Diskussion über das Thema „Industrie 4.0“. Dabei waren das Netzwerk Industrie 4.0 Niedersachsen mit Herrn Köller und Herrn Enke von der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) sowie Herrn Reinecke vom Deutschen Industrie und Handelskammertag (DIHK) aus Berlin vertreten. Referentin, Frau Dr. Hackel von dem Bundesinstitut für Berufsbildung (BiBB) musste leider kurzfristig absagen. Ihr Vortrag wurde von Herrn Enke übernommen.
Nach einer kurzen Begrüßung durch den Landesvorsitzenden, Herrn Haarhaus, stellte Herr Köller sein Institut vor. Dabei erwähnte er, dass er bis Ende letzten Jahres selbst zu diesem Thema am Institut für Fertigungstechnik und Werkzeugmaschinen der Leibniz-Universität Hannover geforscht hatte. Da nicht nur die Forschung oder die Wirtschaft ein großes Interesse hat, sondern auch die Politik (in diesem Fall die Landesregierung Niedersachsen), wurde eine Beratungs- und Informationsstelle zu dem Thema „Industrie 4.0“ mit z.Zt. 2 Mitarbeitern eingerichtet.
Konkret versuchte Herr Köller den Begriff anhand von verschiedenen Schlagworten, wie Mensch-Maschine- Kommunikation, Big Data, Digitalisierung des Produktionsprozesses, Smart Factory, Predicitive-Maintenance u.Ä. zu erläutern. Der Unterschied zur Version „Industrie 3.0“ („dem elektrische Produktionsprozess“) ist dabei, dass Computer
selbstständig den Prozess (von der Konstruktion über die Arbeitsvorbereitung bis zur Fertigung und Qualitätssicherung) steuern, überwachen und anpassen können. Dieses findet sich auch im Begriff „Smart Factory“ wieder. Beispielhaft nannte Herr Köller die „Gesundheitsbox“, die zur automatischen Diagnose von Krankheiten entwickelt wurde.
Das Erforschen einer selbstständig agierenden „Black Box“, die alles – ohne Eingriff des Menschen - selbst regelt und produziert, stellt den Menschen und die Gesellschaft vor große Herausforderungen. Inwieweit eine solche Entwicklung wünschenswert ist und welche Risiken sie birgt, war Bestandteil der anschließenden Diskussion. Trotz verschiedenster Meinungen gab es beim Thema Bildung den Konsens, dass zukünftig IT-Wissen noch wichtiger sein wird und unsere „Bildungssysteme Schule (inklusive Berufsschule)“ bisher noch nicht ausreichend darauf vorbereiten. Das zu vermittelnde IT-Wissen darf sich nicht nur auf die reine Anwendung und Nutzung der Technik (im Alltag und Im Beruf) beschränken, sondern auch auf die Funktionsweise und die dahinterliegenden Bearbeitungsschritte.
Bei dieser Herausforderung unterstützt das “Netzwerks Industrie 4.0“, u.a. in Form eines Kompetenzzentrums, in dem sich alle Beteiligten (Schulen, Unternehmen, Politik, Gewerkschaften etc.) informieren können, Lösungen aufzeigen und austauschen. Speziell dafür wurde auch auf dem Messegelände in Hannover eine Lernfabrik eingerichtet. Hier können spielerisch, aber realitätsnah alle Interessenten „Industrie 4.0“ (in Form eines Produktionsprozesses für einen Kugelschreiber) ausprobieren. Diese Angebote sind staatlich gefördert und für die Interessenten kostenfrei!
Während Herr Köller als Wissenschaftler einen tendenziell recht positiven Eindruck der Zukunft von Industrie 4.0 aufzeigte, konnte man bei dem Gewerkschaftsvertreter, Herrn Enke durchaus kritische Töne vernehmen. So seien seiner Meinung nach viele Fragen ungeklärt und gerade der Datenschutz und die Selbstbestimmung der Arbeitnehmer
gefährdet. Insgesamt müssten die Unternehmen nicht nur die Sicherheit gewährleisten, sondern wären auch für die Fort- und Weiterbildung in diesem Themenbereich zuständig. Insgesamt sei zu vermuten, dass die digitale Arbeitswelt in Form der „Industrie 4.0“ schnelleres und flexibleres Arbeiten mit einer noch höher entwickelten
Qualifikation bedeuten würde. Einige Berufe und Tätigkeiten werden sicherlich davon profitieren, aber viele Tätigkeiten könnten auch überflüssig werden und damit zu höherer Arbeitslosigkeit führen. Dies würde besonders für die einfachen beruflichen Tätigkeiten und Qualifikationen gelten, wobei auch diese zukünftig eine Chance in der Arbeitswelt von Industrie 4.0 haben müssten (dabei zitierte Herr Enke auch die Bundesministerin für Soziales, Frau Nahles).
Abschließend war Herr Enke sehr an einem konstruktiven und offenen Austausch interessiert und brachte auch positive Beispiele (z.B. bei der Arbeitssicherheit) für eine Zukunft mit „Industrie 4.0“. Auch Herr Reinicke stellte als Referatsleiter für technische Weitbildung bei dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) seine Vorstellungen über das Thema „Industrie 4.0“ vor. Interessant war dabei die Aussage, dass der DIHK eigentlich nur noch von der „Wirtschaft 4.0“ spricht, den ganzen Prozess also bereits als übergeordneten Begriff definiert. So zeigt sich auch, dass fast alle Berufe verstärkt von der Entwicklung betroffen sein werden oder es sogar schon sind (z.B. der Mechatroniker), was auch in der Ausbildung berücksichtigt wird. Auch die Form des Lernens wird digitaler werden, so die Meinung von Herrn Reinicke. E-Learning sei dabei nur ein Beispiel auf das sich nicht nur Auszubildende und Berufsschulen einstellen müssen, sondern auch an vorderster Stelle die Unternehmen und Betriebe. So zeigte er viele interessante Statistiken, u.a. stehen im Ranking die Fort- und Weiterbildungen zum Thema „Digitalisierung“ ganz oben. Für Automatisierung muss entsprechend qualifiziertes Personal bereit stehen, was zukünftig eine immer größere Herausforderung für Arbeitgeber und Arbeitnehmer sein wird (Stichwort Facharbeitermangel). Digitale Kompetenzen werden zukünftig noch wichtiger für den Erfolg des Unternehmens sein und auch für die beruflichen Chancen der Arbeitnehmer. Als Beispiel führte er hier den Industriemeister für Lebensmitteltechnik an, der sich besonders in diese Richtung entwickelt habe und ohne „Industrie 4.0“ nicht mehr denkbar sei. Letztendlich wird der wirtschaftliche Erfolg von Unternehmen, Branchen und auch der Volkswirtschaft als solches gemäß Herrn Reinicke immer stärker von der Beherrschung der „Wirtschaft 4.0“ und dabei im Kern der „Industrie 4.0“ abhängen. In der abschließenden Diskussion wurde noch einiges über die Chancen und Risiken für Unternehmen und Arbeitnehmer diskutiert, wobei Einigkeit herrschte, dass ohne eine entsprechende Bildung und Qualifizierung der Auszubildenden und Arbeitnehmer dieser Prozess nicht erfolgreich sein kann.
Zum Ende bedankte sich Herr Haarhaus bei den drei Referenten für ihre interessanten Vorträge mit jeweils einem kleinen Präsentkorb und einer Weinflasche und bei den Besuchern für ihr Kommen und die engagierte Diskussion. Alle Teilnehmer erhielten ein Teilnahme-Zertifikat.
Detlef-Michael Haarhaus / Sven Offer-Heckmann